Das Ruhrparlament wird erstmals direkt gewählt

RVR-Direktorin Karola Geiß-Netthöfel erläutert, was den Regionalverband Ruhr  ausmacht. 

Seit 2011 ist Karola Geiß-Netthöfel Regionaldirektorin des Regionalverbands Ruhr(RVR). 2017 wurde sie einstimmig in ihrem Amt bestätigt und steht dem Verband damit bis 2025 vor. Mit dem Rhein-Ruhr Magazin sprach sie darüber, was ihre Arbeit ausmacht, wie sie die Region wahrnimmt, welchen Herausforderungen sich das Ruhrgebiet stellen muss und wie ihre rund 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Coronakrise umgehen. Nicht zuletzt ruft sie dazu auf, dass die Bürgerinnen und Bürger am 13. September 2020 ihr Kreuzchen nicht nur bei den Kommunalwahlen machen, sondern auch erstmals die Verbandsversammlung, das sogenannte Ruhrparlament, wählen.

 

Karola Geiß-Netthöfel
Die Juristin mit Wohnsitz in Lünen ist seit Mitte 2011 Regionaldirketorin des RVR und Bereichsleiterin für Strategische Entwicklung und Kommunikation, Verbandsgremien, Soziales, Bildung, Kultur und Sport sowie Europäische Netzwerke. 2017 wurde sie einstimmig bis 2025 in ihrem Amt bestätigt. Von Mitte 2008 bis Mitte 2011 war sie Regierungsvizepräsidentin in Arnsberg. Zuvor war sie dort als Abteilungsleiterin unter anderem zuständig für Regionalentwicklung, Wirtschaftsförderung sowie Kommunal- und Bauaufsicht.  

RRM: 2020 ist für den Regionalverband Ruhr ein besonderes Jahr. Allerdings in anderer Hinsicht als ursprünglich geplant. Wie erleben Sie die derzeitige Situation?

Karola Geiß-Netthöfel: 2020 stand für den RVR ganz im Zeichen des 100-jährigen Jubiläums. Den Festakt im Mai mussten wir leider absagen und werden ihn im kommenden Jahr nachholen. Aber zwei bedeutende Ausstellungen werden im zweiten Halbjahr 2020 stattfinden können: Das Ruhr Museum in Essen zeigt eine Sonderausstellung 100 Jahre Metropole Ruhr und spannt den Bogen von der Vergangenheit bis in die Zukunft. In Oberhausen öffnen wir unser Bildarchiv und zeigen Fotos, die bislang selten oder sogar zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich sind. Dann konnten wir unser runderneuertes Hauptgebäude wieder beziehen, das nach seiner grundlegenden und behutsamen Instandsetzung ein Schmuckstück geworden ist. Durch Corona sind viele Mitarbeiter derzeit allerdings im Homeoffice.

RRM: Befürchten Sie dadurch Verzögerungen bei der Aufgabenbewältigung?

Karola Geiß-Netthöfel: Nein, keineswegs. Ich hatte bereits 2011 Teleheimarbeit eingeführt, bei der rund zehn Prozent der Mitarbeiter alternierend zu Hause und in der Dienststelle gearbeitet haben. Das Modell hat sich bewährt und wir haben es durch die Krise ausgeweitet. Natürlich müssen die Voraussetzungen wie etwa die technische Ausstattung gewährleistet sein.

„Der Regionalverband Ruhr ist der größte kommunale Waldbesitzer in Deutschland.“

RRM: Im September gibt es ein Novum. Mehr als 4 Millionen Bürgerinnen und Bürger können die Verbandsversammlung erstmals direkt wählen. Was versprechen Sie sich davon?

Karola Geiß-Netthöfel: Es eine weitere Stärkung des Verbands. Die neuen Mandatsträger werden nunmehr nicht mehr aus den Reihen der Räte und Kreistage entsandt, sondern von den Bürgerinnen und Bürgern selbst bestimmt. Dadurch wird der Zusammenhalt in der Region wachsen. Im Vorfeld machen wir Ende August/Anfang September durch Aktionstage in den Fußgängerzonen  und Informationskampagnen auf die vielfältigen Aufgaben des RVR aufmerksam. Die geplante Roadshow mussten wir wegen Corona leider absagen. Wir wünschen uns, dass wir die Bedeutung des RVR und den Einfluss, den er auf das persönliche Leben hat, bewusster machen können. Der Kommunalrat, dem elf Oberbürgermeister und vier Landräte angehören, ist dabei weiterhin sehr wichtig für die Rückkopplung regionalen Handelns mit der Politik und Verwaltung. Mit 91 direkt gewählten Mitgliedern wird die Verbandsversammlung der größte Rat der Region sein. Gleichzeitig bedeutet dies eine Verschlankung von zuvor 136 Politikerinnen und Politikern. Hinzu kommen elf beratende Mitglieder.

RRM: Sie haben die Regionalplanung bereits als Stichwort genannt. Es gab in der Vergangenheit massive Kritik am RVR, weil der Regionalplan Ruhr nicht wie vorgesehen 2020 vorgelegt werden kann.

Karola Geiß-Netthöfel: Der Regionalplan Ruhr ist ein sehr komplexes Unterfangen und die Gründe für die Verzögerung sind daher vielschichtig. Zahlreiche Abstimmungsprozesse, Stellungnahmen, Änderungen,  eine sinnvolle Planung von Übergängen, unterschiedliche Interessen zwischen Industrie und ökologischen Interessen und vieles mehr spielen dabei eine Rolle. Dass der Regionalplan mit Verzögerung vorgelegt wird, bedeutet jedoch nicht, dass wir untätig waren. Im Gegenteil, wir haben Teilplanungen wie etwa große Gewerbe- und Industriestandorte mit den Kommunen vorgezogen, damit Investitionen nicht steckenbleiben. Damit leisten wir einen erheblichen Beitrag zum Strukturwandel. Wir wollen uns daher nicht verabschieden von der Industrie, aber uns auch als Wissensstandort weiterentwickeln. Einige Beispiele ehemaliger Standorte des Steinkohlebergbaus, die nunmehr für andere Gewerbe- und Industriebetriebe geöffnet werden, sind das ehemalige Bergwerk Prosper-Haniel in Bottrop-Grafenwald, die ehemalige Zeche Westerholt in Herten und das ehemalige Bergwerk Auguste Viktoria, Schacht VI in Marl.

So könnte der Landschaftspark Lünen einmal aussehen. Foto: ARGE Landschaft Planen Bauen GmbH

RRM: Ich habe den Eindruck, dass viele Bürgerinnen und Bürger gar nicht wissen, mit welchen Aufgaben der RVR betraut ist und welche Bedeutung diese für die Region haben.

Karola Geiß-Netthöfel: Gerade deshalb ist es uns ein Anliegen, dass sich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger damit auseinandersetzen und informieren. Die Wahl des Ruhrparlaments ist daher ein guter Beitrag sich einzubringen für die Zukunftsaufgaben des Ruhrgebiets. Lebensqualität und Tourismus, Bildung, Wissen, Wirtschaft und Arbeit, Kultur und Sport, Mobilität, Umwelt und Klima sind Stichworte für die Aufgabengebiete des RVR. Erst kürzlich hat der Kommunalrat einen 11-Punkte-Plan zur Stärkung des ÖPNV in der Metropole Ruhr erabeitet. Darin sind eigene Ideen der Städte und Kommunen eingeflossen, der Ansatzpunkt ist jedoch ganzheitlich, und das ist ein ganz wesentlicher Faktor. Auch der Radschnellweg Ruhr (RS1) von Duisburg bis Hamm ist ein wichtiger Baustein im regionalen Mobilitätsentwicklungsprogramm. Ein weiterer Schwerpunkt ist die „Grüne Infrastruktur“, also der Erhalt und die Pflege der Grünzüge im Ruhrgebiet. Dies war schon bei der Gründung eines der zentralen Anliegen des Verbands. Jetzt arbeiten wir im Partnerverbund an einem Dekadenprojekt: der Internationalen Gartenbauausstellung, die 2027 im Ruhrgebiet stattfinden wird. Und selbst ich wusste, als ich mein Amt antrat, nicht, dass der RVR der größte kommunale Waldbesitzer in Deutschland ist.

„Das Ruhrgebiet kann zum Metropolenlabor für nationale und internationale Regionen werden und Vorbildcharakter haben.“

RRM: Welche Chancen sehen Sie für die Entwicklung des Ruhrgebiets?

Karola Geiß-Netthöfel: Wir sind mit keiner anderen europäischen Metropole zu vergleichen. Einen Ballungsraum, der aus Städten und Gemeinden zusammengewachsen ist, gibt es sonst nirgendwo. Dieses Pfund an selbstbewussten Städten, an Erfahrungen in Zuwanderung uns Strukturwandel, an Beispielen wie Wohnen, Arbeiten, Kultur, Lernen, Klimaschutz, Freizeit und Erholung in Einklang zu bringen sind, müssen wir nutzen. So können wir Vorbild für andere Metropolen sein. Welche Potenziale die Region hat, wurde in einer Studie erfasst. Ich stelle fest, dass wir unsere Möglichkeiten noch längst nicht ausgeschöpft haben. Wir sollten uns nicht an dem orientieren, was noch nicht so gut läuft, sondern daran, was Hoffnung macht und Perspektiven eröffnet. Wir sind reich gesegnet mit Universitäten und Hochschulen. Wie können wir junge Menschen motivieren, nach Ausbildung oder Studium in der Region zu bleiben? Es gibt keine einfachen Antworten auf die komplexen Aufgaben, die anstehen. Aber es gibt hier viele Initiativen und ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl. Wir als Regionalverband Ruhr möchten uns noch mehr Gehör verschaffen und das Ruhrgebiet weiter tatkräftig aktiv mitgestalten. Ich stamme aus einer Bergmannsfamilie, bin ein Kind des Ruhrgebiets und brenne für die Region.

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