„Die Musik ist mein Leben“

Chris Seidler ist Komponistin und lebt ihren Kindheitstraum.

Wer Chris Seidler und ihren Mann Carlo Rafalski in ihrem Gelsenkirchener Zuhause besucht, dem offenbart sich sogleich: Hier spielt die Musik. Ein schwarzer Flügel, ein professionelles Tonstudio im Kel- ler, ein kreativer Rückzugsort zum Komponieren im Dachgeschoss und ja, auch selbstgemalte Bilder im ganzen Haus ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Denn Chris Seidler ist viel mehr als „nur“ Komponistin, die gebürtige Hattingerin ist gesegnet mit Talenten, die für mehrere Leben und Personen reichen würden. Sie in eine Schublade stecken? Niemals – die Künstlerin lebt ihren Traum, den sie schon als kleines Kind für sich entdeckt hat und der sie Zeit ihres Lebens ausfüllt: die Musik. Ziele wie kommerzieller Erfolg spielen dabei eine untergeordnete Rolle, andere Menschen mit ihrem Wirken anzustecken dafür eine um so größere. Das Rhein-Ruhr-Magazin durfte hinein- schnuppern in Partituren und erfuhr, was es bedeutet, in Corona-Zeiten eine Oper für ein großes Orchester vollendet zu haben.

RRM: Eigentlich müssten Sie jetzt erleben, wie Ihre neue Oper „Hildegard“ inszeniert wird. Das Coronavirus hat Ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wie fühlen Sie sich dabei?

Chris Seidler: Mir geht es wie vielen Künstlern in dieser besonderen Zeit. Ich bin enttäuscht, dass in der Kulturszene nahezu Stillstand herrscht und dies natürlich auch meine Oper „Hildegard“ betrifft. Die Partitur umfasst 550 Seiten und ich habe von der Idee bis zur Fertigstellung zwei Jahre intensiv und mit Herzblut daran gearbeitet. Nun sind bis auf Weiteres keine Werke für ein großes Orchester realisierbar. Das schmerzt. Dabei wollte ich eigentlich gar keine große Oper schreiben, sondern ein Musical. Aber, als die Idee an mich herangetragen wurde, war ich schon Feuer und Flamme. Die Metrik und alte Instrumente haben mich schon immer begeistert. Und dann auch noch Hildegard von Bingen! Eine tolle Frau, der sich zu nähern, in mir einen unglaublichen kreativen Schub ausgelöst hat. Nach meinem Empfinden ist es mir gelungen, eine Musik zu erfinden, die es vergleichbar noch nicht gegeben hat. Losgelöst von Traditionen, die Visionen der Protagonistin widerspiegelnd, aber dennoch aus einem Guss. Man hört Instrumente, die man kennt, die jedoch anders eingesetzt werden. Die Partitur verlangt den Musikern viel ab.

RRM: Haben Sie einen Plan B in der Tasche für solche Fälle?

Chris Seidler (lacht): Das ist ja nicht mein einziges Projekt. Vor kurzem habe ich erneut „Kater Mosche“, ebenfalls ein eigenes Werk für Kinder, im Circus Probst zur Aufführung gebracht. Das war gar nicht so einfach mit all den Corona-Auflagen, aber wichtig, um Kinder zu erreichen. Dies ist ein Projekt der Opera School, die ich 2005 mit der Yehudi Menuhin Stiftung ins Leben gerufen habe. Seit der Insolvenz der Stiftung finanziert ein Verein das Weiterleben des Projekts. Darüber hinaus berate ich eine Gesamtschule in Gelsenkirchen mit Schwerpunkt Kultur und Kunst bei der Gestaltung der Räumlichkeiten, gebe Klavierunterricht und vieles mehr.

RRM: Wie sind Sie selbst zur Musik gekommen?

Chris Seidler: Es gab einfach kein Entkom- men. Wir sind eine musikalische Familie durch und durch. Meine Oma war Operet- tensängerin und sang von früh bis spät. Meine andere Oma hat im Chor gesungen und meine Eltern spielten Klavier. Auch mein fünf Jahre alter Bruder ist ein begnadeter Pianist. An meine ersten Klavierstunden im Alter von fünf Jahren denke ich allerdings ungern zurück. Die Harmonielehre als Grundstock waren wichtig, aber ich mochte keine Stücke einfach nachspielen. Einzig die Sonaten von Mozart haben mich berührt. Ich habe schon zwei Jahre später damit begonnen, eigene Stücke zu komponieren. Später hat mich dann mein Bruder unterrichtet, der verstanden hat, was ich fühlte. Dann folgte das Studium der Musikwissenschaften, Philosophie und Kunstgeschichte in Köln. Ich bin meiner Familie heute noch unglaublich dankbar, dass ich mich ausprobieren durfte und in meiner Kreativität immer bestärkt wurde. Ich kann nur jedem raten: Folge Deinen Träumen.

Bildunterschrift: Digitale Medien sind auch beim Komponieren unverzichtbar. Das Libretto für die Oper „Hildegard“ stammt von dem Amerikaner John Havu; Foto: Carlo Rafalski

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